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Aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums in Großstädten und der damit verbundenen Nachverdichtung von innerstädtischen Flächen existiert in vielen Stadtquartieren ein zunehmender Mangel an Grün- und Freiflächen und der öffentliche Raum wird zur knappen Ressource [1]BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2017): Weißbuch Stadtgrün. Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft. URL: … Continue reading. Daher stellt sich die Frage, welche Flächen in der Stadt zu Aufenthaltsorten umgewandelt werden können, damit die soziale Funktion öffentlicher Räume gestärkt wird. Da es sich bei dem Straßenraum um eine kommunale Fläche handelt und diese Verkehrszone der Öffentlichkeit und damit allen Bewohner:innen vorbehalten ist, ergibt sich hier ein großes Transformationspotenzial [2]Nagel, R. (2020): Baukulturbericht. Öffentliche Räume. 2.Auflage, Berlin: Medialis. URL: https://www.bundesstiftung-baukultur.de/sites/default/files/medien/8349/downloads/bsbk_bkb_2021_0.pdf.

Bezogen auf die aktuelle Flächenverteilung des Straßenraumes lässt sich feststellen, dass die Zugänglichkeit und Nutzung dieses vermeintlich öffentlichen Raumes in mehreren Hinsichten kritisch zu betrachten ist. Zum einen sind viele Aufenthaltsmöglichkeiten von einer Konsumpflicht geprägt, zum anderen dient ein Großteil der Fläche ausschließlich der Nutzung als Parkraum für Pkws. Obwohl das Zufußgehen in Großstädten wie Berlin die meist verbreitete Mobilitätsart (31 %) ist und die zurückgelegten Wege mit dem Auto von Jahr zu Jahr sinken, steht aktuell mehr als die Hälfte der Straßenraumfläche (58 %) dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zur Verfügung [3]SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2018a): Mobilität in Städten – System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) 2018 - Mobilitätsdaten für Berlin. URL: … Continue reading [4]SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2013): Mobilität in Städten – System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) 2013 - Mobilitätsdaten für Berlin. URL: … Continue reading [5]Strößenreuther, H. (2014): Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Mobilität und Flächengerechtigkeit. Eine Vermessung Berliner Straßen. Berlin: Agentur für clevere Städte. … Continue reading. Insbesondere bei dem Parkraum handelt es sich um eine stark untergenutzte Fläche, da ein Pkw im Schnitt 23 Stunden am Tag nicht genutzt wird und dabei 12 Quadratmeter öffentlichen Raum beansprucht [6]Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018) Mobilität in Deutschland − MiD: Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur. … Continue reading [7]Hennig, Y. (2020): Bühne statt Parkplatz! In: VCD. Mobilität für Menschen. URL: https://www.vcd.org/artikel/buehne-statt-parkplatz [Erstellt: 8.09.2020, Abruf: 14.10.2020]. Wie lässt sich diese Monofunktionalität des Parkraumes in eine Polyfunktionalität umwandeln, damit alle Stadtbewohner:innen von der Nutzung profitieren?  Parklets transformieren einen Parkplatz in einen Aufenthaltsort und können als effiziente stadtplanerische Maßnahme die Nutzungsvielfalt im öffentlichen Straßenraum fördern.

Foto: Antonia Nähring | EXPERI

Die Stadt Wien hat das Potenzial von Mikrofreiräumen erkannt und fördert seit 2015 im Zuge des Aktionsprogramms Grätzloase nicht-kommerzielle, von Bürger:innen konzipierte Parklets. Forschungen zu Begegnungsqualitäten in den Grätzloasen konnten aufzeigen, dass eine Vielzahl an sozialen Aktivitäten mit unterschiedlichen Intensitäten in den Parklets stattfinden, weshalb Mikrofreiräume vermehrt Eingang in die Stadt- und Verkehrsplanung finden sollten, um nachbarschaftliche Begegnungen auf lokaler Quartiersebene zu fördern [8]Grätzloase (o.J.): Grätzloase – Wir verwandeln den Freiraum! URL: https://www.graetzloase.at [Erstellt: o.J., Abruf: 20.07.2020].

Soziale Aktivitäten, wie Zufalls-Gespräche und nachbarschaftliche Bekanntschaften, werden in den Parklets vor allem durch Partizipationsprozesse sowie durch das Ereignis der „Triangulation“ ausgelöst. Eine Triangulation, die Entstehung von zwischenmenschlichen Interaktionen, ausgelöst durch einen externen Reiz im öffentlichen Raum, entsteht durch den ungewöhnlichen Standort inmitten von parkenden Autos sowie durch abwechslungsreiche Gestaltungsmaßnahmen, wie vielfältige Pflanzenarten und interaktive Raumobjekte [9]Whyte, W. H. (1980): The Social Life of Small Urban Spaces. Washington, DC: The Conservation Foundation.. Durch die Inanspruchnahme und Transformation eines Parkplatzes durch Bürger:innen, besitzen die Mikrofreiräume eine gestalterische Individualität. Das Interesse für diese außergewöhnliche und unbekannte Form des öffentlichen Raumes führt zu Nachfragen, weshalb im Sinne der „Triangulation“ Gespräche zwischen Fremden gefördert werden.

Foto: Tim Dornaus | epilogy.photography

Da die Verantwortung für die Parklets in Wien bei den Bürger:innen liegt, besitzen die Mikrofreiräume das Potenzial, soziale Aktivitäten durch verschiedene Partizipationsprozesse zu fördern. Durch die umfangreiche Begrünung der Grätzloasen nimmt die Pflege der Pflanzen viel Zeit in Anspruch und wird oftmals nachbarschaftlich organisiert. Des Weiteren kommen Begegnungen durch die gemeinsame Raumgestaltung zustande. Somit kommen beim Auf- und Abbau der Parklets verschiedene Personen zusammen und auch während der Standzeit kommt es zu kleinen Gestaltungsmaßnahmen, wie das selbstbestimmte Hinzufügen von neuen Pflanzen oder kleinen Raumobjekten durch Nutzer:innen. Zudem finden Begegnungen in großem Maßstab bei der Durchführung und Teilnahme an Veranstaltungen in den Parklets statt. Diese Partizipation bei der Pflege und Gestaltung sowie bei Aktionen ist entscheidend, da so eine ganz andere Wertschätzung bei den Nutzer:innen hervorgerufen wird. Parklets, als partizipativ verwaltete und gestaltete Außenräume, können die nachbarschaftliche Vernetzung positiv beeinflussen und sind besonders wertvoll, wenn Hausgemeinschaften über keine/n gemeinschaftlich nutzbaren Innenhof oder Dachterrasse verfügen.

Foto: Antonia Nähring | EXPERI

Aus stadtplanerischer Sicht ist es nicht immer notwendig, großflächige Umgestaltungen vorzunehmen, um Begegnungen im öffentlichen Raum zu fördern. Kleine Flächentransformationen sind schneller umsetzbar, mit geringeren finanziellen Kosten und organisatorischen Aufwand verbunden und können maßgebliche Veränderungen in Bezug auf das Leben im Straßenraum hervorrufen. Damit dies gelingt und attraktive Aufenthaltsorte entstehen, empfiehlt es sich, folgende praktische Implikationen bei der Installation von Parklets zu beachten:

Organisation

  • Partizipation sollte an erster Stelle bei der Planung, Umsetzung und Pflege stehen.
  • Die Bürger:innen sind verantwortlich für die Konzeption, die Gestaltung und den Bau der Parklets. Finanziell werden sie durch die Stadt unterstützt, in erster Linie für Materialkosten.
  • Bei saisonalen Projekten sollte die Stadt im Winter Lagerräume für die Parklets anbieten.


Standort

  • Empfehlenswert ist die Lage in einem Wohngebiet mit wenigen nicht-kommerziellen Aufenthaltsorten. Vor allem Straßen mit geringer Begrünung können durch Parklets maßgeblich aufgewertet werden.
  • Anstatt von beiden Seiten an Parkplätze anzugrenzen, ist ein Standort neben einer alternativen Parkplatznutzung sinnvoll.
  • Standorte neben einem Baum mit einer begrünten Baumscheibe können besonders attraktiv sein, da so ein natürlicher Schattenspender vorhanden ist und begrünte Umgebungen das psychische Wohlbefinden der Nutzer:innen positiv beeinflussen können.
  • Standorte neben einem Gehwegvorsprung können hilfreich sein, da dieser Raum optional bei Veranstaltungen hinzugezogen werden kann und die Fläche des Parklets vergrößert.


Gestaltung

  • Eine starke Abgrenzung zur Straße sorgt für ein höheres Sicherheitsgefühl während des Aufenthalts.
  • Die zwischenmenschliche Kommunikation wird gefördert durch intensive Begrünungsmaßnahmen, wie z. B. die Anpflanzung von essbaren Kräutern und Blumen mit einem Schwerpunkt auf Biodiversität oder die Integration von interaktiven Raumelementen (Bsp. Buch-Tausch-Schränke, Schwarze Bretter, Rad-Service Stationen, Informationsschilder über die Bepflanzung, Kickertisch, Spielekiste).
  • Grundsätzlich bieten senkrecht oder schräg ausgerichtete Parkplätze verstärkt Spielräume für die Anordnung kommunikationsfördernder Sitzlandschaften.
  • Einen entscheidenden Einfluss auf die Kommunikationsqualität hat die räumliche Anordnung der Sitzmöglichkeiten innerhalb des Parklets: Lange Bänke, die ausschließlich den Blick gegen die Häuserfassade zulassen, erschweren die Kommunikation. Bei Eckbänken oder sich gegenüberliegenden Sitzgelegenheiten handelt es sich dagegen um „gesprächsfördernde Sitzlandschaften“ [10]Gehl, J. (2015): Städte für Menschen. Berlin: jovis..


Bespielung

  • Die Durchführung von regelmäßigen Veranstaltungen im Parklet fördert die Nutzung und damit verbundene soziale Aktivitäten (Bsp. Lesetreffen, Spiele-Nachmittage, Sprachencafés, Kleider- und Pflanzentausch, Nachbarschaftsessen, Kunst-Workshops).
  • Handelt es sich bei den Initiator:innen um soziale Vereine, kann dies die regelmäßige Durchführung von Veranstaltungen im Parklet fördern, da Aktivitäten, die zuvor im Innenraum stattgefunden haben, ohne großen organisatorischen Aufwand in den Außenraum verlagert

 

Hinweis

Der Blogbeitrag entstand auf Grundlage der Bachelorarbeit „Umverteilung des öffentlichen Raumes auf Straßenraumebene: Das Potenzial von Parkplätzen als nicht-kommerzielle Aufenthaltsorte“ im Fach Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Informationen stammen daher überwiegend aus 12 Interviews, welche mit dem Verein Lokale Agenda 21 und verschiedenen Parklet-Initiator:innen in Wien geführt worden sind.

 

Fußnoten

Fußnoten
1 BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2017): Weißbuch Stadtgrün. Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft. URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/ wohnen/weissbuch-stadtgruen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [Erstellt: 04.2017, Abruf: 12.10.2020]
2 Nagel, R. (2020): Baukulturbericht. Öffentliche Räume. 2.Auflage, Berlin: Medialis. URL: https://www.bundesstiftung-baukultur.de/sites/default/files/medien/8349/downloads/bsbk_bkb_2021_0.pdf
3 SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2018a): Mobilität in Städten – System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) 2018 - Mobilitätsdaten für Berlin. URL: https://www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsdaten/zahlen-und-fakten/mobilitaetin-staedten-srv-2018 [Erstellt: keine Angabe, Abruf: 15.10.2020]
4 SenUVK - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2013): Mobilität in Städten – System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) 2013 - Mobilitätsdaten für Berlin. URL: https://www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsdaten/zahlen-und-fakten/mobilitaetin-staedten-srv-2013 [Erstellt: keine Angabe, Abruf: 15.10.2020]
5 Strößenreuther, H. (2014): Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Mobilität und Flächengerechtigkeit. Eine Vermessung Berliner Straßen. Berlin: Agentur für clevere Städte. URL: https://digital.zlb.de/viewer/metadata/15848079/1
6 Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018) Mobilität in Deutschland − MiD: Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur. URL: https://elib.dlr.de/125879/1/MiD2017_Ergebnisbericht.pdf [Erstellt: 02.2019, Abruf: 2.12.2020]
7 Hennig, Y. (2020): Bühne statt Parkplatz! In: VCD. Mobilität für Menschen. URL: https://www.vcd.org/artikel/buehne-statt-parkplatz [Erstellt: 8.09.2020, Abruf: 14.10.2020]
8 Grätzloase (o.J.): Grätzloase – Wir verwandeln den Freiraum! URL: https://www.graetzloase.at [Erstellt: o.J., Abruf: 20.07.2020]
9 Whyte, W. H. (1980): The Social Life of Small Urban Spaces. Washington, DC: The Conservation Foundation.
10 Gehl, J. (2015): Städte für Menschen. Berlin: jovis.
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