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Auch das Land Berlin muss seinen Beitrag zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens leisten, um die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu erreichen. Unter der Prämisse der Klimaneutralität bis 2045 definiert das Berliner Energiewendegesetz unter anderem die nötigen Reduktionen für den Verkehrssektor[1]An dieser Stelle ist anzumerken, dass aktuelle Studien darauf verweisen, dass das angegebene Zieljahr 2045 und somit auch die im Energiewendegesetz formulierten Maßnahmen nicht ausreichend sind, um … Continue reading. Bei Fortsetzung der aktuellen Entwicklung des Verkehrssektors in Berlin wird 2050 mit 8 Mt CO2 Äquivalenten[2]CO2-Äquivalent entspricht der Zahl, die angibt, wie sehr ein Treibhausgas in einem bestimmten Zeitraum im Vergleich zur gleichen Menge CO2 zur Erderwärmung beiträgt. gerechnet. Mit dem Ziel der Klimaneutralität dürften es allerdings nur noch 0,2 Mt sein.[3]Aktuell sind es 5,2 Mt CO2-Äquivalente. Demnach wäre die absolute Reduktion, gemessen an heute 5 Mt, unter Berücksichtigung des jetzigen Trends sogar 7,8 Mt CO2-Äquivalente.Unter: … Continue reading

Diese Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor zur Erreichung von Berlins Klimaneutralität wird sich unabdingbar in der Verteilung des Verkehrsaufkommens auf die Verkehrsmittel, kurz Modal Split, widerspiegeln. Die in der Machbarkeitsstudie „Berlin Paris-konform machen“ vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung im Auftrag des Berliner Senats errechneten Entwicklungen für den Modal Split sind in Tabelle 1 abgebildet.

 

Anteil
aller Wege
2018
Anteil
aller Wege
2050
Relative
Veränderung
2020-2050
MIV 25,9 % 10 % - 61,4 %
ÖPNV 26,9 % 33 % + 22,7 %
Zu Fuß 29,6 % 32 % + 8,1 %
Fahrrad 17,6 % 25 % + 42,0 %
Tabelle 1: Entwicklung des Modal Splits im Langfristszenario[4]Hirschl, B. et al. (2021): Berlin Paris-konform machen. Eine Aktualisierung der Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ mit Blick auf die Anforderungen aus dem UN-Abkommen von Paris. S. … Continue reading

Der im 2050-Szenario errechnete Anteil von 10 % motorisiertem Individualverkehr (MIV) (inkl. Carsharing und anderen Formen des Autoteilens) muss zu 100 % alternative Antriebe haben[5]Ebd. S.13 und 174. und wird auf kommunaler Ebene insbesondere durch die Subventionierung der Ladeinfrastruktur von Elektroautomobilität gefördert. Dieses Langfristszenario verdeutlicht, dass Elektromobilität neben anderen alternativen Antriebstechnologien als ein zentrales Element zur Erreichung eines dekarbonisierten und nachhaltigen Verkehrssystems angesehen wird. Wie sich die Bestrebungen hin zu einer 10 % MIV-Rate in Berlin aktuell räumlich verteilen, wird im vorliegenden Beitrag beleuchtet.

 

Räumliche Trends der Ladeinfrastruktur

Im Berliner Stadtzentrum ist, ebenso wie in anderen Ballungsräumen[6]Sikder, S.K. et al. (2018): Halten Sie die Augen nach einer Ladestation offen! – Die E-Ladestations-Infrastruktur in Deutschland: eine räumliche Analyse. Unter: … Continue reading, eine Anhäufung von Ladesäulen zu beobachten. Dies wird durch einen Bildausschnitt des Ladesäulenregisters (Abbildung 1) deutlich.

Ladeinfrastruktur
Abbildung 1: Berliner Ladesäulenregister[7]https://www.vda.de/vda/de/themen/elektromobilitaet/ladenetz-ranking/ladesaeulenregister [26.10.2021]

Aus der in diesem Beitrag eingenommenen räumlichen Perspektive stellt sich die Frage, welche Konsequenzen eine solche Konzentration der Ladesäulen im Stadtzentrum nach sich zieht.

 

Probleme der Ladesäulenkonzentration im Stadtzentrum

Mit der Ladesäulenkonzentration im Stadtzentrum Berlins gehen einige Probleme und grundlegende Fragen in Bezug auf die Förderung und den Ausbau der Elektromobilität und ihrer Infrastruktur einher.

Berlin weist einen hohen Flächennutzungsdruck auf, der sich unter anderem durch den Bevölkerungszuwachs von 13 % in der letzten Dekade und den 9 %igen Zuwachs bei der Anzahl der registrierten Pkw verstärkt. Auch die bisher einseitige Verteilung des öffentlichen Straßenraums zugunsten des Autos[8]Mobilitätsatlas. Daten und Fakten für die Verkehrswende. (2019). Heinrich Böll Stiftung und VCD. Unter: … Continue reading trägt zum Flächennutzungsdruck bei.[9]Dabei ist anzumerken, dass eine hohe Bevölkerungsdichte pro m2 per se nicht klimaschädlich sein muss. Eine Folge: Der (öffentliche) Raum ist stark umkämpft. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur, gerade im Stadtzentrum, erhöht den Druck weiter, denn jede Ladesäule geht mit typischerweise zwei Parkplätzen einher, auf denen die Elektroautos stehen, während sie aufgeladen werden. Darüber hinaus wird die Ladeinfrastruktur bisher häufig auf Gehwegen gebaut. Damit wird dem Pkw, der aktuell in Bezug auf die Flächenverteilung der verschiedenen Verkehrsmittel überrepräsentiert ist[10]Strößenreuther, H. (2014): Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Mobilität und Flächengerechtigkeit. Eine Vermessung Berliner Straßen. Unter: … Continue reading, noch mehr Platz zugesprochen. Dies scheint gerade vor dem Hintergrund der größeren Gruppe an Fußgänger:innen (30 %) als Pkw-Fahrer:innen (26 %) am Modal Split der Berliner Wohnbevölkerung fragwürdig.[11]Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2020): Mobilität in Berlin: Die Verkehrswende gewinnt an Fahrt. Unter: … Continue reading Ebenso können je nach Lage der Ladeinfrastruktur neue Barrieren für mobilitätseingeschränkte Personen auf Gehwegen entstehen. Zum anderen schafft der Bau von Ladeinfrastruktur in Innenstädten einen Anreiz, mit dem (privaten) Elektro-Pkw in das Zentrum zu fahren, was den Nutzungsdruck zusätzlich erhöht. Im Verhältnis zu anderen Verkehrsmitteln benötigt das (Elektro-)Auto viel Platz[12]Randelhoff, M. (2014): Vergleich unterschiedlicher Flächeninanspruchnahmen nach Verkehrsarten (pro Person). Unter: … Continue reading, welcher in erster Linie nachhaltigeren Verkehrsmitteln zur Verfügung stehen sollte. Des Weiteren wäre eine weitere Fokussierung auf den Ausbau der Elektroautomobilität im urbanen Raum aus Umweltverträglichkeitsaspekten angesichts des sehr gut ausgebauten ÖPNV-Netzes bedenklich. Alltägliche, innerstädtische Wege lassen sich auf Grund ihrer meist kurzen Distanz zu Fuß oder mit dem Rad bewerkstelligen.[13]Follmer, R. & Gruschwitz, Dana (2019): Mobilität in Deutschland – MiD Kurzreport. Ausgabe 4.0. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministers für Verkehr und digitale … Continue reading

 

Und jetzt?

An die vorherigen Argumente und Beobachtungen anschließend ergibt sich, dass eine räumlich differenzierte Betrachtung für den weiteren Ausbau und die Förderung der Elektroautomobilität für den 10% elektrifizierten MIV Anteil im klimaneutralen Berlin Szenario notwendig ist. Denn der Ausbau der Ladeinfrastruktur erhöht den Flächenverbrauch und somit auch den Nutzungsdruck weiter. Deshalb ist es umso wichtiger, den Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht an den aktuell gemeldeten Autos, sondern an Zukunftsszenarien und deren Motorisierungsrate auszurichten. Das UBA schlägt als Ziel einen absoluten Motorisierungsgrad von maximal 150 zugelassene Pkw pro 1000 Einwohner inklusive Carsharing und Taxifahrzeugen vor.[14]Umweltbundesamt (2017): Die Stadt für Morgen. Umweltschonend mobil – lärmarm – grün – kompakt – durchmischt. Unter: … Continue reading Für das im neuen Koalitionsvertrag formulierte Ziel von „insgesamt mindestens einem Ladepunkt für je zehn zugelassene Fahrzeuge“[15]SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke (2021): Entwurf zur Beschlussfassung des Koalitionsvertrages zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Berlin und Bündnis 90/Die … Continue reading (p. 64) würde das bei aktueller Bevölkerungsgröße Berlins von 3,6 Mio Einwohner:innen bedeuten, dass wir lediglich 54.000 Ladesäulen anstelle von über 120.000 bei aktuell über 1,2 Mio gemeldeten Pkw in Berlin, bräuchten. Damit schafft der Ausbau der Ladeinfrastruktur im Stadtzentrum, basierend auf der vorherrschenden Pkw-Dichte, gerade vor dem Hintergrund des im Berliner Stadtzentrum stark vertretenen Umweltverbund ein „falsches“ Anreizsystem.

 

Szenario Anzahl
Einwohner:innen
Anzahl Pkw Anzahl benötigter
Ladesäulen, wenn ein Ladepunkt für 10 zugelassene Fahrzeuge
Status quo 3 600 000 1 200 000 120 000
Motorisierungs-
grad 150
3 600 000 540 000 54 000

 

Tabelle 2: Benötigte Ladesäulen in Abhängigkeit des Motorisierungsgrads

Doch neben der Notwendigkeit einer räumlich differenzierten Betrachtung und der Notwendigkeit der Berücksichtigung von Zukunftsszenarien der Motorisierungsrate gibt es noch weitere Diskussionsbedarfe. So sollten die verbleibenden 10 % des MIVs in erster Linie von denjenigen Personen und Gruppen genutzt werden, die aufgrund spezieller Mobilitätsbedürfnisse am stärksten auf einen Pkw angewiesen sind, unabhängig von sozio-ökonomischen Faktoren.[16]Frenzel, I.; Jarass, J.; Trommler, S. & Lenz, B. (2015): Erstnutzer von Elektrofahrzeugen in Deutschland. Nutzerprofile, Anschaffung, Fahrzeugnutzung. DLR Institut für Verkehrsforschung. Unter: … Continue reading

Fußnoten

Fußnoten
1 An dieser Stelle ist anzumerken, dass aktuelle Studien darauf verweisen, dass das angegebene Zieljahr 2045 und somit auch die im Energiewendegesetz formulierten Maßnahmen nicht ausreichend sind, um den nötigen Beitrag für die 1,5°C Grenze zu leisten (vgl. Rahmstorf, S. et al. (2019): Kipppunkte im Klimasystem: Eine kurze Übersicht. Unter: http://www.pik-potsdam.de/~stefan/Publications/Kipppunkte%20im%20Klimasystem%20-%20Update%202019.pdf [26.10.2021]
2 CO2-Äquivalent entspricht der Zahl, die angibt, wie sehr ein Treibhausgas in einem bestimmten Zeitraum im Vergleich zur gleichen Menge CO2 zur Erderwärmung beiträgt.
3 Aktuell sind es 5,2 Mt CO2-Äquivalente. Demnach wäre die absolute Reduktion, gemessen an heute 5 Mt, unter Berücksichtigung des jetzigen Trends sogar 7,8 Mt CO2-Äquivalente.Unter: https://www.ioew.de/publikation/berlin_paris_konform_machen [26.10.2021]
4 Hirschl, B. et al. (2021): Berlin Paris-konform machen. Eine Aktualisierung der Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ mit Blick auf die Anforderungen aus dem UN-Abkommen von Paris. S. 184. Unter: https://www.ioew.de/projekt/berlin_paris_konform_machen_aktualisierung_der_machbarkeitsstudie_klimaneutrales_berlin_2050 [26.10.2021]
5 Ebd. S.13 und 174.
6 Sikder, S.K. et al. (2018): Halten Sie die Augen nach einer Ladestation offen! – Die E-Ladestations-Infrastruktur in Deutschland: eine räumliche Analyse. Unter: https://gispoint.de/fileadmin/user_upload/paper_gis_open/AGIT_2018/537647028.pdf [26.10.2021]
7 https://www.vda.de/vda/de/themen/elektromobilitaet/ladenetz-ranking/ladesaeulenregister [26.10.2021]
8 Mobilitätsatlas. Daten und Fakten für die Verkehrswende. (2019). Heinrich Böll Stiftung und VCD. Unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2020-10/mobilitaetsatlas2019_II.pdf?dimension1=ds_mobilitaetsatlas [17.11.2021]
9 Dabei ist anzumerken, dass eine hohe Bevölkerungsdichte pro m2 per se nicht klimaschädlich sein muss.
10 Strößenreuther, H. (2014): Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Mobilität und Flächengerechtigkeit. Eine Vermessung Berliner Straßen. Unter: https://www.clevere-staedte.de/files/tao/img/blog-news/dokumente/2014-08-05_Flaechen-Gerechtigkeits-Report.pdf [17.11.2021]
11 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2020): Mobilität in Berlin: Die Verkehrswende gewinnt an Fahrt. Unter: https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.906382.php [17.11.2021]
12 Randelhoff, M. (2014): Vergleich unterschiedlicher Flächeninanspruchnahmen nach Verkehrsarten (pro Person). Unter: https://www.zukunft-mobilitaet.net/78246/analyse/flaechenbedarf-pkw-fahrrad-bus-strassenbahn-stadtbahn-fussgaenger-metro-bremsverzoegerung-vergleich/ [03.09.2021]
13 Follmer, R. & Gruschwitz, Dana (2019): Mobilität in Deutschland – MiD Kurzreport. Ausgabe 4.0. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur. Unter: http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/infas_Mobilitaet_in_Deutschland_2017_Kurzreport_DS.pdf [17.11.2021]
14 Umweltbundesamt (2017): Die Stadt für Morgen. Umweltschonend mobil – lärmarm – grün – kompakt – durchmischt. Unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/421/publikationen/20170505_stadt_von_morgen_2_auflage_web.pdf [17.11.2021]
15 SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke (2021): Entwurf zur Beschlussfassung des Koalitionsvertrages zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Berlin und Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin und Die Linke Landesverband Berlin über die Bildung einer Landesregierung für die Legislaturperiode 2021-2026. Unter: https://spd.berlin/media/2021/11/Koalitionsvertrag-Zukunftshauptstadt-Berlin.pdf [06.12.2021]
16 Frenzel, I.; Jarass, J.; Trommler, S. & Lenz, B. (2015): Erstnutzer von Elektrofahrzeugen in Deutschland. Nutzerprofile, Anschaffung, Fahrzeugnutzung. DLR Institut für Verkehrsforschung. Unter: https://elib.dlr.de/96491/1/Ergebnisbericht_E-Nutzer_2015.pdf [03.09.2021]
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